Guten Tag Ihr Lieben,
hier kommt ein weiterer kleiner Gedankengang aus meinem Textarchiv! Wenn ich mal ein halbes Stündchen Zeit hab‘, kann auch so etwas dabei herauskommen. 😉
Ich bin dicht!
“Warum schreibst du denn keine Gedichte?” Früher habe ich diese Frage sehr oft gehört. Und heute war es zumindest das erste Mal in diesem Jahr, dass diese Frage wie ein Pfeil auf mich losgelassen wurde, weil der Fragenden spontan zu dem, was sie von mir gelesen hatte, nichts eingefallen ist. Mir ist schon deutlich bewusst, dass die Dichtkunst die höchste Sprachkunst ist. Aber, wenn man Kunst macht, kommt es nicht auf höher, schneller und weiter an sondern darauf, was passt und weiterentwickelt werden kann. Mir käme mehr Dichtung in meinem Werk größenwahnsinnig vor. Denn so ganz stimmt es nicht, dass ich nicht dichte. Es gibt ja immerhin einige Haikus von mir. Aber das sind nur geringe Spurenelemente der Dichtkunst in einem ansonsten prosaischen Werk.
“Warum schreibst du denn keine Gedichte?” Auf diese Frage habe ich lange Zeit immer geantwortet:
“Ich bin doch schon ganz dicht. Was soll ich da noch dichten?”
Ich ließ diese Erwiderung immer scherzhaft daherkommen. Und bis zu einem gewissen Grad war sie auch so gemeint. Aber darin ist mehr als ein Wortspiel und ein Spaß. Reimen kam und kommt für Autoren wie mich, die den Ungereimtheiten des Lebens auf die Spur kommen wollen, ohnehin nicht in Frage. Wenn ich ihnen hart auf den Fersen bleiben will, muss ich sie als das anerkennen, was sie sind, nämlich als die Ungereimtheiten des Lebens. Außerdem haben sich die Werbung und die Lebenssinnindustrie Reime und die Rhythmik von Versen längst im großen Stil angeeignet. Ich habe Verse und Reime in meiner Kindheit und Jugend kennen und lieben gelernt. Das gilt vor allem für die Balladen. Und da ich alles, was ich gelesen oder vorgelesen habe, gern und dankbar auf mich habe wirken lassen, haben auch die Gedichte auf mein Sprachverständnis und mein Sprachgefühl ihren vielseitigen Einfluss genommen. Und das gilt selbstverständlich auch für Liedtexte. So kommt es wohl nicht von ungefähr, dass ich beim Schreiben häufig aufstehe, in meinem Arbeitsbereich auf und ab gehe und mir die Texte, während ich sie mir durch den Kopf gehen lasse, halblaut vorspreche. Da ich nicht dichte, geht es bei dieser Herangehensweise an die Texte nicht um das Versmaß sondern um die Melodie der einzelnen Worte und Sätze. Und es geht auch darum, immer wieder neu herauszufinden, mit welcher Geschwindigkeit und Wortstruktur ich den wichtigen Punkten, die mich interessieren, auf der Spur bleiben kann. Und ich werde ohne Dichtung immer dichter!
Liebe Grüße
Christiane (Texthase Online) und Paula Grimm