Heimkehr in den Blog: Achtundachtzig Blütenblätter für Gertrud

Guten Tag Ihr Lieben,

ich zähl’ die Häupter meiner Lieben und jetzt sind es schon zwei von sieben, die wieder in den Blog zurückgekommen sind. Denn dies ist der zweite Prosatext, den ich im Sommer aus dem Blog entfernt hatte, um sie als Buch herauszugeben, was ich dann doch nicht getan habe. Der erste Post, der in sein Zuhause für Webinhalte auf diese Seiten heimgekehrt ist, war
https://texthaseonline.com/2015/11/03/heimkehr-in-den-blog-zum-schreiben-mache-ich-immer-blau/. Wie auch beim ersten Text habe ich die Anmerkungen, die ich für das Büchlein vorgesehen hatte, beibehalten.

Meine Mutter verstarb am 06. Juli 2010. Die Geschichte, die Ihr in diesem Beitrag findet, war der erste Prosatext, den ich ihr gewidmet habe. Im September habe ich ihr Gedanken zu einem wichtigen Thema, zu Flucht und Vertreibung, gewidmet. Diesen könnt Ihr hier lesen:
https://texthaseonline.com/2015/09/15/einer-mutter-gedanken-uber-flucht-und-vertreibung-mutter-mutter-wie-weit-muss-ich-reisen/.

Achtundachtzig Blütenblätter für Gertrud

(Diese Geschichte über eine Urnenbeisetzung entstand an einem Nachmittag Ende August des Jahres 2010. Vorsicht ist bei der Interpretation geboten! Diese Geschichte hat sehr persönliche Züge ist aber im eigentlichen Sinn nicht autobiografisch.)

Der Sommer setzte Lebendes nicht mit flirrender Hitze unter Druck. Denn der Julihimmel hielt sich bedeckt. Aber es regnete nicht.
“Guten Tag, Daggi!”
“Herzliches Beileid auch dir, Daggi!”
“Wie geht es dir sonst so, Daggi?”
“Hallo, bald hätte ich dich übersehen, Daggi!”
Und Daggi, wie es aus aller Munde kam, hatte wie eh und je diesen falschen verniedlichenden Klang. Es waren viele Leute zu begrüßen, Beileidsbekundungen entgegen zu nehmen und vor allem Hände zu schütteln. Weil das seine Zeit brauchte, gelang es den Kindheitsgerüchen nach Haferschleim und Zitrusspülmittel die aktuellen In-Düfte der Parfüms, Deos und Aftershaves zu überlagern und diese schließlich auch ganz zu verdrängen. Und die Großmutter sagte wie zu ihren Lebzeiten in ihrem Singsangdialekt von weiter rheinaufwärts, der immer gleichermaßen schimpfend und jammernd klang:
“Jib’ dat schöne Händsche, Daggi!”
Dieser und andere Sätze in diesem Zungenschlag waren seit dreißig Jahren eigentlich verstummt. Doch in früheren Zeiten sehr häufig ausgesprochen mussten sie ohne Sinn und Verstand in der Familie bleiben, bis der oder die Letzte, dem sie zu Lebzeiten zu Ohren gekommen waren, gestorben sein würde. So oft der alten Frau ihrer Zeit ungefragt Ratschläge erteilt worden waren, so oft sie geklagt, verurteilt und geprahlt hatte, niemand konnte und mochte diese jammernde Schimpferei imitieren. Jeder bekam von Dagmar die rechte Hand sowie einen Gruß und Dank in der hiesigen raueren sprachweise. Und die Rechte war wie di Linke und wie die Füße klein geraten und wieder einmal durch Macken an den Nagelbetten und einen Riss an der Daumenwurzel nicht das schöne Händchen.
“Wenigstens muss erst mal nicht gewinkt werden. Dabei verpasse ich wohl immer noch den Einsatz, weil ein Abschiedswort noch lange keinen Abschiedsblick und keine Kehrtwende zum Gehen ist, blinde Kuh.”

“Es geht los, Daggi!” sagte Martha, die Älteste von den fünf, die Gertrud geboren hatte. “Also bei ihr unterhaken!” gedacht, nichts gesagt aber getan, was sie gedacht hatte und jetzt angesagt war.

Der Weg zu dem Bereich für die anonymen Grabstätten war, wie man so sagt, ein gutes Stück Weg.
“Gehen hilft immer irgendwie!”
Martha unterhielt sich gedämpft mit Leuten, die vor und hinter ihr gingen. Und darum musste sie nicht Daggi sagen. So war es zumindest leicht, den eigenen Gedanken nachzugehen. – “Gehen hilft immer irgendwie!”

“Gertrud war wie Martha die Älteste zu Hause. – Zu Hause in Ostpreußen. – Zu Hause an der Bahnstrecke, wo abends dann irgendwann nicht mehr nur die Güterzüge und Viehtransporte nach Osten rollten. – Zu Hause, wo dann irgendwann auf den Güter- und Viehwagons Menschen nach Osten abgeschoben wurden. Und die Dunkelheit, durch die die Züge führen, verhüllte die Tötungsabsichten und die vollendeten Morde nicht, sodass Gertrud sie später genau erkannte. – Zu Hause, wo dann später mit Menschen überladene Züge nach Westen fuhren. – Zu Hause, von wo sich Gertrud dann ohne den Vater aber mit den Großeltern zu Fuß in den ungewissen Westen aufgemacht hatte. Und die beiden Kleinen, Renate und Oskar, waren auf der Strecke geblieben. –

Gertrud war die Einzige gewesen, die Dagmar zu ihr gesagt hatte. – voller Stolz, weil sie sich in diesem Fall gegen ihren Mann und ihre Schwiegermutter durchgesetzt hatte. Anders war es bei Martha.” Sie hieß wie die Jugendfreundin des Vaters. Martha empfand es als eine Zurücksetzung so zu heißen wie jemand, der im Alter von zweiundzwanzig Jahren tödlich mit dem Auto verunglückt war. Und Martha empfand es mit Mitte vierzig immer noch beleidigend, dass Dagmar, Dagmar, also taghell, hieß.
“Es ist absurd jemanden taghell zu nennen, der im dunkelsten Winter geboren ist, und der nie gesehen hat und nie sehen wird, was taghell ist.”
“Und selbst, wenn das stimmte, gab es keinen triftigen Grund dafür der Namensgeberin und der Trägerin des Namens den Klang wegzunehmen und lebenslänglich mit diesem falschen und verniedlichenden Ton Daggi zu sagen.”

Schließlich erreichten sie den Platz, an dem Gertruds Urne beigesetzt werden sollte.

Der Mandatar wartete bis alle Trauergäste sich in einen Halbkreis um das Urnengrab versammelt hatten. Dabei ließ sich ein Augenblick der Stille und des Stillstands nicht vermeiden. Und wenn Dagmar geistesgegenwärtig genug gewesen wäre und mit dem schönen Händchen, dem Linken, das von Herzen kommt, in die Luft gegriffen hätte, hätte sie wohl ein großes Stück von dem kleinen Glück aufgeschnappt, das die Natur einfachen, bodenständigen Leuten, die das Herz auf dem rechten Platz haben, bereit hält. So blieb ihr nur kurz festzustellen, dass Gertrud ihren Platz für die ewige Ruhe richtig gewählt hatte. Es war ein Ort mit Gras, Blumen und Bäumen. Es gab Plätze in Gertruds Garten, die so waren. Wer nicht heimisch sein darf, muss sich heimisch machen. Dabei gibt es keine heile Welt. Dazu sind diese Plätze zu bescheiden. Und dazu musste man für so einen eigenen Platz zu oft, zu viel und zu hart arbeiten.

Der Trauerredner hielt eine kurze Rede. Dann folgte zumindest das Vaterunser. Das Vaterunser war auch an diesem Tag wie es ist und wie das Gehen. Es hilft immer. In seiner Ungereimtheit war es Gertruds Leben und damit auch ihrem Tod näher als jedes Lied, denn die Worte dieses Gebets sind so gesetzt, dass man sie wie bei jedem Gang rhythmisch so gestalten kann, wie es gerade angemessen ist. Auf die Länge und die rituelle Struktur einer katholischen Messe war verzichtet worden, um falsche Gefühligkeit zu vermeiden. Was immer das auch sein mochte. Und es stimmte, dass Gertrud keine Kirchgängerin gewesen war. Sie war in den Garten gegangen, so lange sie konnte. Und ihren Garten hatte sie mit Kopf, Herz und Hand gepflegt und war damit bodenständig genug, um Herz und Seele nach oben und ganz weit offen zu haben. Und damit gehörte sie im unkonfessionellen Sinn zu den gläubigen Menschen. Und sie hatte gebetet.

Und was konnte auf dieses einfache und dennoch großartige Gebet folgen?

Jeder Trauergast ging zum Urnengrab. In den letzten Tagen war viel und laut über die Beerdigung gesprochen worden. Und weil alle sich bemühten so laut und so schnell als möglich mitzureden, waren viele falsche Worte gefallen. Und sie alle hingen nach dem Vaterunser plötzlich in der Sommerluft. Die Tränen, die auch bei Dagmar, die sie schlucken wollte, reichlich flossen, hatten sie nicht wegspülen können. Jeder ging allein an das Grab, auch wenn sie zu zweit an das Grab herantraten wie Martha und Dagmar.

Plötzlich wurde Dagmar gewahr, dass sie vor einem Korb mit Blütenblättern stand. Und links neben diesem Korb, also an der Herzseite war das Urnengrab. Auf die Blütenblätter und dieses Loch war Dagmar nicht vorbereitet gewesen. Darüber war in all der Zeit, die seit Gertruds Sterben vergangen war, kein Wort verloren worden. Dagmar erinnerte sich daran, dass sie vor fast dreißig Jahren hier auf dem Friedhof aber an ganz anderer Stelle für die Großmutter einen Kranz in ein größeres Grab geworfen hatte. Und Gertrud hatte sich ihr anonymes Grab auch deshalb gewünscht, um nicht neben ihrer Schwiegermutter in das Doppelgrab gelegt zu werden. Es war wohl dieser erfolgreiche Widerstand gegen den Willen der alten Frau und ihres Sohnes gewesen, der vor nicht einmal einer halben Stunde die Worte und Gerüche von früher auf den Plan gerufen hatten. Was waren schon fast dreißig Jahre und maximal 200 m Luftlinie verglichen mit ausgewachsenem Starrsinn und Bosheit.

“Was ist jetzt zu tun? – Hier geht es nicht um das schöne Händchen. – Wie viele Blütenblätter müssen es sein? – Achtundachtzig – Erst immer fünf und zuletzt drei!”! “Mensch, Daggi, was machst du denn da? Du hältst den ganzen Verkehr auf!”

Martha sprach leise, aber der ungeduldige Ton in ihrer Stimme war nur umso lauter zu hören.

“Nicht die Sonne, die Weite bringt es an den Tag!”
“Ich zähle die angemessene Zahl für Gertrud ab!”
“Für Gertrud?”
“Ja, für Gertrud, die mit dem Schwert Vertraute. So hieß sie doch!”
“Aber warum sagst du Gertrud zu ihr, Daggi? Sie war unsere Mutter!”
“Ja! Das war sie auch! Aber das war sie nicht nur!”
“Wie viele von den Blütenblättern meinst du denn zu brauchen?”
“Die fünfundsiebzig für jedes gelebte und erlebte Jahr habe ich schon! Also die Zeit der vielen Arbeit, die Zeiten des Kummers, die Zeiten der Sehnsüchte, die Zeit der Vertreibung, die Zeiten der Krankheiten, die Zeiten der Schwangerschaften, Geburten und Pflege und so sind schon bedacht!” “Und was kommt jetzt noch?”

Diese spitze Frage nahm Dagmar erst abends, als sie in ihrem Bett lag, ganz genau wahr. Was sie aber in Echtzeit spürte, war Marthas wachsende Ungeduld. Sie hätte Dagmar gern stehen gelassen. Aber das traute sie sich nicht. Wenn sich Martha wenigstens mit den anderen Trauergästen hätte verbünden können. Aber sie warteten geduldig in gebührendem Abstand, weil sie Dagmars Tränen bemerkten und fühlten, dass alles seinen angemessenen Lauf für Dagmar und für Gertrud ging.
Und alles ging so gut als möglich.
“Fünfundsiebzig für jedes gelebte und erlebte Jahr, eins als Trostpflaster für jeden Kummer, eins zum Trost für unerfüllte Sehnsüchte, eins für unerfüllte Liebe, eins für jede erlittene Ungerechtigkeit, eins als Lohn für jede Plackerei, eins für jede vergebliche Mühe, eins für jeden erlittenen Schmerz und für jede Krankheit. Und der Dank darf nicht fehlen, eins für jedes gute Wort, eins für die Zuverlässigkeit, eins für jede geübte Nachsicht, eins für die Liebe, die immer von Herzen kam, auch wenn sie immer nur ein praktisches Aussehen hatte, eins für die Mühe um Gerechtigkeit und eins für die Bemühung um Verständnis, was selten gelang aber nie aufhörte.”

Liebe Grüße

Christiane (Paula Grimm bei Texthase Online)
PS: Auch dieser kleine Film hat was mit dem Thema Mutter und meiner Passion für Hände, die in der Geschichte ja auch anklang zu tun:
Handfestes Über Paula Grimm und ihre Literatur

https://www.youtube.com/watch?v=5M9vJuoZDnQ&feature=em-share_video_user.

Einer Mutter Gedanken über Flucht und Vertreibung: „Mutter, Mutter, wie weit muss ich reisen? „

‚nabend zusammen,

was Ihr in diesem Artikel lest, sind Gedanken zu Flucht und Vertreibung, die ich mir anlässlich der gegenwärtigen Situation und bezogen auf die Tatsache gemacht habe, dass meine Mutter, die auch ein Flüchtlingskind war, gestern 81 Jahre alt geworden wäre. – Ziemlich provisorisch das und vielleicht auch anmaßend, was sie mir hoffentlich nachsieht!

Mutter, Mutter, wie weit muss ich reisen?

Nennt mich Maria. Denn auch das ist einer meiner drei Vornamen. So wurde ich zu Lebzeiten nicht gerufen oder genannt. Aber für diese, meine Zwecke wird es reichen. Mir ist es gleichgültig, ob Ihr das, was ich denke, gut findet, nachvollzieht oder bedeutsam findet. Ich habe ein, nein, viele, ernste Worte mit Euch Nachgeborenen, wie man so sagt, zu reden. Aber auch für die aus meiner Generation, die noch leben, sind diese Zeilen bestimmt. Mir geht es um Flucht und Vertreibung.

Wenn ich die Bilder sehe, die millionenfach zweidimensional und lautstark kommentiert in Echtzeit oder doch fast in Echtzeit um die Welt gehen, dann kommt ziemlich bald ein Augenblick, in dem ich die Augen schließe und mir die Ohren zuhalte, natürlich bildlich gesprochen. Und es stimmt natürlich, dass ich mich so gegen einen Teil des Elends verschließe. Aber anders als zu Lebzeiten ist das kein Ablenkungsmanöver. So kann ich klarer sehen, fühlen, hören und denken den je. Und diejenigen, die sich eine Auszeit für die Arbeit in ihrem Garten, die Schaffung eines gemütlichen Heims, in einem Verein etc. nehmen und nicht den jüngsten Schreckensmeldungen nachjagen, sind häufiger, als bestimmte Meinungsmacher Glauben machen wollen, nicht diejenigen, die nicht helfen, die unbarmherzig sind und vertreiben Menschen weiter treiben wollen. Obwohl die Mentalität „mein Haus, meine Selbstgerechtigkeit, mein Auto!“ natürlich auch gibt. Doch der Schluss, dass diejenigen, die ihren Garten und ihre Tiere pflegen und voller Hingabe ihre eigene Marmelade kochen, weltvergessen „nur ihr eigenes Süppchen kochen“, ist falsch. Gefährlich für die Menschlichkeit, für die Veränderung der Welt sind vor allem diejenigen, die die Zeit die andere Menschen mit kreativen oder familiären Aufgaben verbringen, damit vertun, dass sie darüber lamentieren, wie es alle anderen zu machen haben, was zu tun ist, wie man gefälligst denken soll usw. Selbstgerechtigkeit und Besserwisserei sterben nicht aus und bringen viele Menschen um ihr Heim und Leben. Und sie verhindern notwendige Veränderungen, die allen Kreaturen auf der Welt also auch den Menschen helfen. Diese Selbstgerechtigkeit und Besserwisserei ist geprägt von einer bestimmten Art der Häme, der Häme, die als Pandemie für Geist und Seelen weltweit grassiert. Wer die Schuld an allem Elend einfachen und genügsamen Menschen unterschieben will, weil sie nichts für den „großen Wurf“ tun, der die Welt verbessert, kann das bezogen auf mich gern tun, denn ich stehe dazu, nach dem Grundsatz gelebt zu haben: „Die Dummen hetzen, die Klugen warten, die Weisen gehen in den Garten!“ Und das habe ich gemacht, obwohl ich allzu gut wusste, wie leicht das alles verloren gehen und vernichtet werden kann. Denn die getrockneten Pilze und die Nüsse, die meine Großmutter für den Winter 1944.1945 als Vorrat angelegt hatte, blieben, nachdem wir unser Zuhause in Freimarkt im Kreis Heilsberg verlassen mussten, nur zwei Tage in unserem Besitz. Der kleine wagen, auf dem die Vorräte und meine kleineren Geschwister waren und die Vorräte wurden ihr mit Waffengewalt abgenommen.

Meine Befassung mit dem Thema Flucht und Vertreibung hörte zu Lebzeiten nicht auf und hat auch jetzt noch lange, vielleicht sogar nie, ein Ende. So sehr sie sich auch verändern mag, fängt sie doch immer mit einer scheinbar harmlosen Szene, die sich viel später, 28 Jahre, nach unserer Flucht zugetragen hat. Ihr kennt doch bestimmt das Spiel: „Mutter, Mutter, wie weit darf ich reisen?“ Das haben meine Kinder auch gespielt. Und im Sommer des Jahres 1973 wurde ich Zeugin von dem, was passierte, als meine Töchter dieses Spiel mit Kindern aus der Nachbarschaft spielten und eines meiner Kinder fragte: „Mutter, Mutter, wie weit muss ich reisen?“ Sie verbesserte sich zwar schnell, indem sie die Frage so wiederholte, wie es die Spielregel besagt: „Mutter, Mutter, wie weit darf ich reisen?“ Aber das nutze ihr nichts. Sie wurde von dem Nachbarkin, das die Mutter spielte, damit bestraft, dass sie nur einen Gänseschritt machen durfte. Und jedes Mal, wenn mir das einfällt, frage ich mich: „Wie viele Menschen sind jetzt auf der Flucht?“ Die Zahlen ändern sich. Und ob man sich auf sie verlassen kann oder nicht, es sind immer mehr Menschen auf der Flucht als es Urlaubsreisende gibt. Da bin ich mir sicher.

Damals traf mich der Geistesblitz, dass die Frage meiner Tochter auch etwas damit zu tun hatte, dass Flucht und Vertreibung ein Thema war, obwohl sie damals noch so klein war, dass wir nicht darüber gesprochen hatten. Sie war für längere Zeit in einem Krankenhaus gewesen, dass weit von unserem Wohnort entfernt war. Es ist nicht das Gleich und auch nicht das Selbe, was wir auf der Flucht erlebt haben. Aber eine Entwurzelung und Vertreibung von dem Platz, an den man gehört, ist es doch. Und wenn man es genau betrachtet, hat niemand von uns das Selbe erlebt wie ein anderer Flüchtling. Und diese unerbittliche Regel gilt immer noch. Und obwohl das Erleben ein vollkommen Anderes war, war da doch eine solide Grundlage dafür, miteinander zu sprechen sich im wahrsten Wortsinn miteinander zu verständigen. Wir wurden uns in vielen Dingen einig. Das geschah, obwohl wir später nur ab und zu über die lückenhaften Erinnerungen gesprochen haben. Alles braucht eben seine Zeit. Und wir waren, wie ich jetzt weiß, klug und liebevoll genug, um keinen falschen Zwang aufeinander auszuüben. Vielleicht hat sie mir anfangs keine Vorwürfe gemacht, weil ich ihr bezogen auf ihre eigene Entwurzelung nicht so geholfen habe, wie eine „gesunde“ Mutter es tut, weil sie sich nicht getraut hat mich zu verletzen. Aber ich bin mir schon lange sicher, dass sie keinen Vorwurf gegen mich erhebt, weil sie auf die ihr eigene Art begreift, dass es mir nicht anders möglich war. Das hat Gott sei Dank funktioniert. Aber das ist nicht selbstverständlich. Und auch für die Menschen, die jetzt auf der Flucht sind, können nicht davon ausgehen, dass die Verständigung über das, was von den Folgen von Flucht und Vertreibung bleibt, so gut als möglich funktioniert. Und die Erfahrungen von Flucht und Vertreibungen werden immer viel mehr als nur einen blauen Fleck auf der Seele als Spur hinterlassen. Denn Menschen werden zurückgelassen, bleiben auf der Strecke. Wir haben uns anvertrautes Leben, eine Ziege, Gänse und Katzen zurückgelassen. Wir haben erlebt, wie unser kleiner Cousin, unsere jüngste Schwester und unser kleiner Bruder gestorben sind. Wir haben miterleben müssen, wie auf Schiffe mit Flüchtlingen geschossen wurde. Und es hört bis heute nicht auf, dass Menschen auf der Flucht zu Fuß gehen und versuchen auf Schiffen von dem Land wegzukommen, auf dem sie nicht mehr erwünscht sind, auf dem sie nicht bleiben dürfen.

Unterweisen war ein Thema in unserer Familie. Ich wurde im September 1934 in Freimarkt im Kreis Heilsberg geboren und war die Älteste von neun Kindern meiner Eltern. wir wohnten an einer Bahnstrecke, denn mein Vater und die meisten anderen meiner Verwandten arbeiteten bei der Reichsbahn. Der Zugang zu diesem Transportweg hat uns nichts genutzt. Genauso wenig wie die Tatsache, dass mein Vater nicht in der Partei war. Er wurde mit einem Zug, auf dem er Zugführer war, von den Russen verschleppt.

Wir waren nicht nur gezwungen Tiere zurückzulassen, die uns Menschen anvertraut waren. „Oh Land der dunklen Wälder und der Kristalle Seen!“ – Vor allem im Winter zeigte dieses Land seine raue Seite, seine harten Regeln. Und so zeigen die Landschaften Afrikas und anderer Weltteile gerade den Flüchtlingen ihre harten Bedingungen, Hitze, Staub und Trockenheit. Aber Wüste, Schnee und Meer sind an dem, was Menschen einander antun, unschuldig.

Es gibt viele Dinge, über die ich froh und dankbar bin. Gott sei Dank musste ich nach 1945 nie wieder fliehen. Denn als ich 1953 von Brandenburg in die Bundesrepublik reiste, haben meine Großmutter und zwei andere Menschen dafür gesorgt, dass es eine Ausreise und nicht wieder eine heillose Flucht war. Es ist mir erspart geblieben als Mutter mit kleinen Kindern oder als alte Frau auf der Flucht zu sein. Und ich freue mich über jeden Menschen, der fliehen musste und ein neues Zuhause findet. Aber wenn ich meine Augen schließe, meine Ohren zu halte, weil mir das Lamentieren über die Willkommenskultur zu laut wird und auf den Geist geht, wird in mir eine andere Frage laut. „Warum gibt es in der Zeit der Globalisierung keine Bleibekultur? Denn einen sicheren Platz zum Leben braucht jeder Mensch!“

In der Zeit unserer Flucht waren die Leute, zu denen wir kamen, oft auch sehr arm. Und es wurde auch aus Not gestohlen. Meine jüngere Schwester und ich haben mehr als einmal Brot geklaut. Aber machen wir uns nichts vor. Dei meisten Waffen, mit denen Leuten Nahrung, Kleidung und andere Habe abgepresst wurde, wurden nicht gefunden, sondern gehörten habgierigen Leuten. Denn Habgier, nicht Not, ist seit Menschengedenken eines der häufigsten Mordmotive. Das gilt auch für Massen- und Völkermord. Und wir müssen davon ausgehen, dass viele Mitbürger, die sich in den Regionen aufhielten, in denen wir heimisch waren, gab, die es gewöhnt waren zu stehen, zu vergewaltigen und zu töten. Sie hatten schon in der Zeit vorher und zwar mit „Rückenwind“ von staatlicher Seite geraubt, Menschen gequält und getötet. Und so ist es auch geblieben. Die Gewalt, die Menschen vertreibt, ist nach wie vor meist wie ein Pendel, das in eine Richtung geschlagen wird und in die andere Richtung zurückschlägt. Und immer war und ist es so, dass es Unschuldige trifft. Ein Mensch auf der Flucht war und ist ein Mensch zuviel, der auf der Flucht war oder ist. Es war und bleibt ein mörderisches Geschäft und ein ständiger Kampf um Leben und Tot. Wer anfängt oder nicht damit aufhört Vertreibung und Flucht von damals und heute gegeneinander zu vergleichen, aufzurechnen, um nichts tun zu müssen, nicht zu helfen, kein Verständnis zu zeigen, der sollte bedenken, dass sein persönliches Leid, seine persönlichen Verluste sowie das Leid und der Tod der geliebten Menschen, die er verloren hat, ebenso radikal subjektiv waren und sind, wie es das Leid, die Verluste und die Tode der Menschen sind, die heute fliehen. Wogegen das Pendel der Gewalt, das Flucht und Vertreibung bringt, sich damals wie heute der selben Maschinerie bedient. Angefangen bei den Gründen dafür, warum das Pendel angestoßen wird, bis hin zu den Gründen und der Hilflosigkeit, die die Bewegung des Pendels in Gang halten.

„Warum reißt die noch den Mund auf, obwohl ihr der Tot ihn ihr schon 2010 gestopft haben sollte?“ ich wünsche mir einfach, dass es besser wird. Die Flucht machte mich zu einem ängstlichen Menschen. Das gebe ich unumwunden zu. Aber Angst ist kein guter Berater. Sie ist nicht mehr als ein Warnsignal. Und man kann sich mit ihr auseinandersetzen. Dabei ist es mir passiert, dass ich nicht zu einem mutigen Menschen geworden bin, der seine Angst verloren hat. Aus der Entfernung zum Weltgeschehen, dass inzwischen mehr als fünf Jahre beträgt, muss ich sagen, dass ich mich so oft fremd gefühlt habe und mich aus der Distanz immer noch so viel befremdet, dass ich keine angst vor Fremden mehr habe nur noch vor fremdbestimmten Leuten, vor Hass, Hähme, Bosheit, Verleumdung und Habgier. Vor dem Tod muss ich keine Angst mehr haben. Geblieben ist das Entsetzen über jeden unnötigen vorzeitigen Tot. Doch ich habe schon zu Lebzeiten aufgehört die Toten zu zählen, die ich gesehen habe.

Nachlese und Vorgeschmack auf Texthase Online – Mein Abschied von den Eltern

Guten Abend Ihr Lieben,

wie es sich in diesem Blog für die Nachlese und den Vorgeschmack gehört, kommt am Anfang des Artikels ein herzliches Dankeschön an meine Leser. Inzwischen wurde dieser Blog 4122 mal besucht. Herzlichen Dank für Eure Besuche. Und lieben Dank auch an diejenigen, die Kommentare hinterlassen haben.

Hier war es in der letzten Zeit etwas ruhiger. Es gab viel zu tun. Ich kämpfe immer noch mit dem Feinschliff des Orcaprojekts. Der anstehende Umzug und die Arbeitssuche sind immer noch nicht abgeschlossen. Aber einige gute Empfehlungen und die Rubrik positiv gedacht konnten Artikelzuwachs bekommen.

Allerdings wird morgen der Artikel positiv gedacht entfallen. So wohltuend und zauberhaft diese kleine, neue Tradition ist, manchmal ist es doch wichtig innezuhalten und sich Trauer, Gedenken und Besinnung hinzugeben. Der Grund dafür, dass dies für mich angezeigt ist, ist, dass mein Vater am Freitag, 09.05. gegen 21.00 Uhr verstorben ist.

Da meine Mutter bereits am 06.07.2010 verstorben ist, ist es für mich der endgültige Abschied von den Eltern. Jetzt gilt es, in der Trauer das Verhältnis zu meinem Vater und zu meinen Eltern noch einmal neu zu klären. Ich hoffe, dass mir dies in einem oder in eineinhalb Jahren so gut als möglich gelingt, obwohl ich natürlich weiß, dass Trauer, so lange man lebt, niemals vollends aufhört, wenn es die Trauer um nahestehende Menschen ist.

Vielleicht gelingt mir noch einmal ein Text, der ähnlich ist, wie https://texthaseonline.com/2012/11/16/achtundachtzig-blutenblatter-fur-gertrud/ .

Allerdings habe ich mir doch vorgenommen, die Arbeit nicht ruhen zu lassen. Daran erkennt man die „Landpommeranze“. Das ist eine Spezies und Gattung, zu der ich mich zähle und bekenne. Kinder, Tiere und Pflanzen sowie die selbstgestellten Aufgaben müssen gepflegt werden. Und sie sind, auch wenn es am Anfang auch schwer ist, auf Dauer ein Trost.So geht die Arbeit am Orcaprojekt weiter. Und ich hoffe, bis zum Ende der woche die Formatierung in das Epubformat hinzubekommen.

Aber jetzt wünsche ich Euch allen alles erdenklich Gute, habt die Lieben lieb, so lange

Ihr sie hier auf Erden lieb jaben könnt! Viel Erfolg und Freude bei all Euren Projekten!

Liebe Grüße

Christiane (Texthase Online)

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